Farce Runder Tisch Heimerziehung II: Vertrauen ist verloren gegangen

Veröffentlicht auf von otto

Erklärung der ehemaligen Heimkinder zum Abschlussbericht des RTH 09.12.2010
Der von der Geschäftsstelle vorgelegte Entwurf eines Abschlussberichtes zum RTH ist in den
entscheidenden Konfliktpunkten für die Opfer der Heimerziehung nicht zustimmungsfähig.
Vorweg: Wir haben am RTH eine erdrückende Menge zu erlittenem Unrecht zur Sprache gebracht
und damit deutlich gemacht, dass dieses Leid und Unrecht nicht individuelle ein-zelne Erfahrungen
waren, sondern Erfahrungen, die in einem System totaler Institutionen gemacht wurden.
Im Berichtsentwurf wird eingangs folgende Erklärung abgegeben: „Der Berichterstattung der
ehemaligen Heimkinder und den darin enthaltenden Unrechtserfahrungen wird geglaubt.“ An allen
wesentlichen Konfliktpunkten zwischen der Mehrheit der Institutionenvertreter und den Opfern der
Heimerziehung vom RTH wird diese Zusage nicht eingehalten (insbesondere erkennbar in der
Systematik der Unrechtsbewertung, der verbotenen Kinderarbeit und Zwangsarbeit, bei der
Beurteilung der Medikamentierung in der damaligen Heimerziehung).
Die Konsequenzen der Entwertung der Erfahrungen der Opfer der Heimerziehung sind die völlig
unangemessenen Lösungsvorschläge im Berichtsentwurf:
- Die Abkopplung der sog. „Folgeschäden“ vom verursachenden Unrecht: Im Begriff der
„Folgeschäden“ im Bericht sind die gewaltförmigen Beeinträchtigungen bzw. die „Zerstörung von
Lern- bzw. Bildungschancen“ (N. Struck) nicht enthalten. Die Definition von Folgeschäden im Bericht
bezieht sich nur auf aktuell erkennbare Spätfolgen, sie berücksichtigt auch nicht, dass viele Op-fer
der Heimerziehung die Folgen der Schädigungen, die sie erlitten haben, unter großen Anstrengungen
in ihrem weiterem Leben einigermaßen gehandhabt haben. Alle diese Menschen werden durch die
„Folgeschäden“ im Bericht ausgegrenzt. Dieses steht im Gegensatz zu den von den Opfern der
Heimerziehung eingebrachten Lösungsvorschläge. Diese Definition der Folgeschäden wird benutzt,
um die Ablehnung der zentralen Forderung der Opfer der Heimerziehung nach einer
Entschädigungsrente von 300,00 € mtl. bzw. 54.000 € Einmalzahlung zu begründen.
- Die große Mehrheit der Opfer der Heimerziehung ist vom Zugang zu den vor-gesehenen Fonds
ausgeschlossen: Im sog. „Rentenfond“ werden nur sozialversicherungsrechtliche
Rentenverbesserungen mit Nachweispflicht für die Antragsteller berücksichtigt, im sog.
„Traumatisiertenfond“ gibt es nur Leistungen beim Nachweis von „besonderer Bedürftigkeit“ (z.B.
Altenhilfe, Hilfe in besonderen Notlagen).
- Alle Anträge der Opfer der Heimerziehung werden im Abschlussbericht unter den besonderen
Vorbehalt der sozialrechtlichen Nachrangigkeit gestellt („Nachrangigkeit“ bedeutet hier, dass zuerst
alle sozialrechtlichen Leistungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein müssen, um überhaupt einen
Leistungsanspruch gegenüber den vorgesehenen Fonds des RTH zu haben). Mit der fremddefinierten
„Bedürftigkeit“ und der sozialrechtlichen Nachrangigkeit werden die Opfer der Heimerziehung im
Alter erneut zu Kunden der Sozialen Arbeit gemacht (Sozialämter, Krankenkasse, Pflegeeinrichtungen
...).
- Die Vertreter/innen der Opfer der Heimerziehung am RTH haben eine Konzeption für unabhängige
Stützpunkte vorgelegt. „Unabhängigkeit“ bedeutet hier: Keine Anbindung an bestehende
Trägerstrukturen, die in der Nachfolge der Trägerorganisationen der ehemaligen Heimerziehung
stehen. Die Opfer der Heimerziehung müssen maßgeblich an der Entscheidungsstruktur der
Stützpunkte beteiligt sein (z.B. Besetzung der Personalstellen, Veto-Rechte).
- Da die Lösungsvorschläge der Opfer der Heimerziehung im Abschlussbericht wie ein Fremdkörper
stehen und in den Empfehlungen weitgehend unberücksichtigt geblieben sind, nehmen wir unsere
Lösungsvorschläge aus dem Abschlussbericht wieder heraus und werden sie dem Bundestag und den
Ländervertretern selbst präsentieren.
Wir widersprechen der im Abschlussbericht formulierten Absicht, dass erlittene sexuelle Gewalt und
deren Folgen an den anderen Runden Tisch „Sexueller Missbrauch“ abgeschoben werden soll. Die
sexuelle Gewalt ist Teil des in den Heimen praktizierten Unrechts. Eine Aufspaltung der Opfer der
Heimerziehung nach unterschiedlichen Gewalterfahrungen lehnen wir ab. Wir protestieren noch
einmal gegen die ungleiche politische Behandlung der Opfer der Heimerziehung gegenüber den
Opfern sexueller Gewalt in den Internatsschulen. Die Opfer der Heimerziehung fordern, dass die als
behindert definierten ehemaligen Heimkinder und die ehemaligen Heimkinder der ehemaligen DDR
in die Rehabilitation und Entschädigung mit einbezogen werden.
Wir, die Opfer der Heimerziehung am RTH, haben uns an der Arbeit mit großen Hoffnungen an den
Bemühungen des RTH um Aufklärung und angemessene Lösungsvorschläge beteiligt. Ganz bewusst
haben wir uns gegen alle Skepsis entschieden, den anderen Mitgliedern dieses Gremiums mit
Vertrauen zu begegnen, weil wir der Auffassung waren, dass nur auf dieser Grundlage ein positives
Ergebnis zu erzielen sein würde. Dieses Vertrauen ist verloren gegangen, weil uns im Laufe der Zeit
deutlich geworden ist, dass unsere Vorstellungen von der Mehrheit am Runden Tisch nicht wirklich
ernst genommen worden sind. Die Haltung der Vertreter/innen des Bundes, der Länder, der Kirchen
und ihrer Wohlfahrtsverbände - wie sie im Entwurf des Abschlussberichtes zum Ausdruck kommt -
hat uns gezeigt, dass wir nicht darauf vertrauen können, dass unsere Vorstellungen in die
parlamentarischen Beratungen eingebracht werden, in denen ja letztlich die praktischen Lösungen
gefunden werden müssen."

http://www.ehemalige-heimkinder-am-runden-tisch.de/files/erklarung_vom_9122010pdf.pdf

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